Post aus Palästina nach Berlin-Halensee 1934

In den vergangenen Monaten habe ich mich – nach dem Fund der Postkarte an die Gartenbauschule in Ahlem – intensiver mit den jüdischen, zumeist zionistischen Jugendbünden im Deutschland der Dreißiger Jahre befasst. Viele dieser Gruppen organisierten sich im zionistischen Dachverband Hechaluz und konzentrierten sich nach 1933 darauf, ihre Mitglieder auf die Alijah, die Auswanderung nach Palästina, vorzubereiten (Hachschara), um der wachsenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entkommen.

In diesem Beitrag zeige ich eine kürzlich erworbene Postkarte, die Benjamin Goldschmidt aus Palästina an Frl. Senta Grabowsky, Berlin-Halensee, Katharinenstraße 27, Germany sandte. Die Postkarte trägt das Datum vom 29. Dezember 1934. – Benjamin Goldschmidt schreibt:

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Erinnerung an Hans Rosenthal

Kürzlich recherchierte ich über eine Postkarte, 1933 gesendet an die Gartenbauschule in Ahlem, die zu dieser Zeit eine Ausbildungsstätte für junge Jüdinnen und Juden war, die nach Palästina auswandern wollten. Dabei fand ich schnell heraus, dass die mir unbekannte Berliner Absenderadresse Schönhauser Allee 162 die des jüdischen Baruch Auerbach’schen Waisenhauses war. In diesem Waisenhaus lebten für einige Monate auch der später sehr erfolgreiche Showmaster Hans Rosenthal (1925-1987) und sein jüngerer Bruder Gert (1932-1942), der nach einer Erkrankung an Kinderlähmung 1934 körperlich beeinträchtigt war.

Hans Rosenthal war mir bereits als Kind aufgrund seiner sehr populären ZDF-Show Dalli-Dalli, zu der sich in den Siebzigerjahren die ganze Familie vor dem Fernseher traf, wohl vertraut. Dass ich bis heute zu Hans Rosenthal eine besondere Beziehung behalten habe, obwohl er doch eher zur Welt meiner Eltern gehörte, liegt an einem Dahlemer Kindergeburtstag 1976, zu dem auf einmal Hans Rosenthal erschien und vielleicht eine Stunde lang mit uns seine Fernseh-Show nachspielte.

Ein Kindergeburtstag in Berlin-Dahlem 1976. Auf einmal war da Hans Rosenthal, vermutlich mit den Eltern der Gastgeberin bekannt, und spielte mit uns Dalli-Dalli. Beim abschließenden Gruppenfoto stand ich zufällig vor Hans Rosenthal, dessen rechte Hand meine Schulter umfasste.
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Post aus einem jüdischen Waisenhaus an die Gartenbauschule Ahlem

Zuletzt bearbeitet am 28. Mai 2023

Diese Postkarte schrieb Alexander Teitelbaum, Schönhauser Allee 162, Berlin N58 am 7. November 1933 an seinen Berliner Freund Heinz Grunwald, Gartenbauschule Ahlem bei Hannover.

In der Schönhauser Allee 162 befanden sich seit 1897 die Baruch Auerbach’schen Waisen-Erziehungsanstalten für jüdische Knaben und Mädchen, in denen Kinder aus mittellosen jüdischen Familien versorgt und ausgebildet wurden. Im November 1942 wurde das Waisenhaus aufgelöst, über 130 Kinder und ihre Betreuer in zwei sogenannten Osttransporten deportiert und bei Riga oder in Auschwitz ermordet. Heute befindet sich in der mit Wohngebäuden überbauten Schönhauser Allee 162 der Erinnerungsort Baruch Auerbach‘sches Waisenhaus.

Die bereits 1893 gegründete Israelitische Gartenbauschule Ahlem bei Hannover diente der Ausbildung junger Juden und Jüdinnen aus prekären sozialen Verhältnissen, um deren wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern. Ab 1933 widmete sich die Einrichtung dann vorrangig der Hachschara, der Ausbildung und Vorbereitung der Auswanderung deutscher Juden nach Palästina. 1941 wurde das Schulgelände zur zentralen Sammelstelle von Juden aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim zur Deportation in die Todeslager im Osten. Heute befindet sich dort die zentrale Gedenkstätte der Region Hannover für die nationalsozialistische Judenverfolgung.

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Emigriert nach Paris: Zwei Postkarten an Dr. Leo Alexander in Berlin

Im September 1938 emigrierte Martin Alexander in Begleitung seiner Frau (?) Herta aus Berlin nach Paris, um von dort aus weiter nach Argentinien auszuwandern. In zwei Postkarten an den Berliner Arzt Dr. Leo Alexander berichtet er aus den ersten Tagen seiner Emigration. Während Martin und Herta die Flucht vermutlich gelang, werden Leo, seine Frau Edith und der von ihnen angenommene Pflegesohn Wolfgang am 17. Mai 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

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100 Raritäten (5): „Kommerzienrats Olly“ von Else Ury

Else Ury ist berühmt geworden als Verfasserin der für junge Mädchen konzipierten Nesthäkchen-Romane, die zwischen 1913 und 1925 in zehn Bänden erschienen und bis heute – wenn auch sprachlich überarbeitet – verlegt werden. Die Erzählungen über das Leben der höheren Tochter Annemarie Braun aus Charlottenburg erreichten hohe Auflagen und machten Else Ury zu einer der erfolgreichsten Jugendbuchautorinnen der Weimarer Republik. Gut erhaltene Ausgaben ihrer Bücher aus der Zeit vor 1933 sind durchaus gesucht, aber gewiss keine großen Raritäten. Anders verhält es sich mit signierten Ausgaben, die in Antiquariaten kaum zu bekommen sind. Eine solche befindet sich in meiner Bibliothek.

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Der Tag, an dem ich Fan von Eintracht Frankfurt wurde

Am 8. Mai 1971 besuchte ich das erste Mal ein Bundesliga-Spiel. Ich war gerade sechs Jahre alt geworden und im Berliner Olympiastadion empfing der Tabellendritte Hertha BSC die abstiegsbedrohte Eintracht aus Frankfurt. Die Berliner drehten einen frühen Rückstand und siegten ungefährdet mit 6:2. Dennoch entschied ich mich an diesem 8. Mai 1971, so ungefähr gegen 17:00 Uhr, von nun an Fan von Eintracht Frankfurt zu sein.

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Wie ich den Mauerfall in Berlin erlebte

Irgendwann in der zehnten Klasse musste mein Sohn J. als Hausaufgabe für den Deutschunterricht ein Interview schreiben: „Befrage jemanden aus Deiner Familie zu einem besonderen Erlebnis“. Wir einigten uns darauf über den Mauerfall zu sprechen, den ich als West-Berliner damals unmittelbar miterlebte. So musste ich mich noch einmal erinnern, was ich am 9. und 10. November 1989 in Berlin sah und tat. Das Gespräch wurde dann von uns beiden redaktionell geglättet und mein Sohn erhielt eine recht manierliche Zensur dafür. Bevor diese Schularbeit aber ganz in Vergessenheit gerät, scheint mir der 30. Jahrestag der Maueröffnung geeignet, unser Interview hier zu dokumentieren. 
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100 Raritäten (4): „Turngedichte“ von Joachim Ringelnatz

Joachim Ringelnatz hieß eigentlich Hans Bötticher. 1883 im sächsischen Wurzen als Sohn des Schriftstellers Georg Bötticher geboren zieht es ihn früh zur See. So bereist er nach Schule und Militärdienst ab 1901 bis 1903 als Schiffsjunge die Welt und lernt das raue Matrosenleben kennen – für den jungen Bötticher eine identitätsstiftende Erfahrung, der die deutschen Literatur die Figur des naiv-gutmütigen Seemanns Kuttel Daddeldu verdankt. Auf Grund seiner Sehschwäche muss Bötticher 1903 die Seefahrt aufgeben und verdingt sich in verschiedenen kaufmännischen Berufen. Doch es zieht ihn – der sich seit früher Jugend als Schriftsteller versucht – immer stärker zur künstlerischen Bohème in Berlin und München.

Joachim Ringelnatzens Turngedichte

Von Joachim Ringelnatz signiertes Exemplar der Turngedichte.

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100 Raritäten (2): „Niederungen“ von Herta Müller

2009 erhielt Herta Müller den Nobelpreis für Literatur und wurde über Nacht weltberühmt. Die Autorin wuchs im diktatorisch regierten Rumänien Ceausescus auf und gehörte dort einer oppositionellen, deutschsprachigen Autorengruppe an. Nach Jahren der Repression verließ sie 1987 ihre Heimat und zog in den Westteil Berlins.

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Vorderer Umschlag der ersten Buchpublikation Herta Müllers, in deutscher Sprache erschienen 1982 noch in Rumänien.

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Warum Hertha BSC für mich nicht der „Hauptstadtverein“ ist

Der von mir  geschätzte Marvin Mendel twitterte kürzlich die These, dass Hertha BSC sehr viel mehr Potenzial besäße, wenn der Verein nur ein geeigneteres Stadion hätte:

Ich antwortete ihm, dass Hertha BSC meiner Meinung nach neben einem nicht mehr zeitgemäßen Stadion noch andere strukturelle Probleme hätte – nämlich eine nicht vorhandene Verankerung in der Stadt. Mir widersprach ein Twitter-Nutzer und bat um Antwort.

Da diese etwas länger ausfallen wird, erläutere ich meine Meinung hier und nicht auf Twitter. Ich schreibe übrigens bewusst „Meinung“, denn ich habe dazu nicht soziologisch geforscht, sondern schlussfolgere nur aus meinen persönlichen Eindrücken.

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