Post aus einem jüdischen Waisenhaus an die Gartenbauschule Ahlem

Zuletzt bearbeitet am 28. Mai 2023

Diese Postkarte schrieb Alexander Teitelbaum, Schönhauser Allee 162, Berlin N58 am 7. November 1933 an seinen Berliner Freund Heinz Grunwald, Gartenbauschule Ahlem bei Hannover.

In der Schönhauser Allee 162 befanden sich seit 1897 die Baruch Auerbach’schen Waisen-Erziehungsanstalten für jüdische Knaben und Mädchen, in denen Kinder aus mittellosen jüdischen Familien versorgt und ausgebildet wurden. Im November 1942 wurde das Waisenhaus aufgelöst, über 130 Kinder und ihre Betreuer in zwei sogenannten Osttransporten deportiert und bei Riga oder in Auschwitz ermordet. Heute befindet sich in der mit Wohngebäuden überbauten Schönhauser Allee 162 der Erinnerungsort Baruch Auerbach‘sches Waisenhaus.

Die bereits 1893 gegründete Israelitische Gartenbauschule Ahlem bei Hannover diente der Ausbildung junger Juden und Jüdinnen aus prekären sozialen Verhältnissen, um deren wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern. Ab 1933 widmete sich die Einrichtung dann vorrangig der Hachschara, der Ausbildung und Vorbereitung der Auswanderung deutscher Juden nach Palästina. 1941 wurde das Schulgelände zur zentralen Sammelstelle von Juden aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim zur Deportation in die Todeslager im Osten. Heute befindet sich dort die zentrale Gedenkstätte der Region Hannover für die nationalsozialistische Judenverfolgung.

Der 15-jährige Alexander Teitelbaum schreibt an seinen Freund Heinz Grunwald:

Berlin, den 7.11.33
Lieber Heini, endlich komme ich dazu, Dir zu schreiben. Ich habe wirklich wenig Zeit. Jetzt lerne ich Stenographie und muss wieder üben deutsch zu schreiben! Hier auf der Jüd. Schule müssen wir Aufsätze und Diktate deutsch schreiben. Vor allen Dingen, lieber Heini, danke ich Dir für Deine lieben Geburtstagswünsche. Ich habe nur mit meiner Mutti, Tante, Onkel und Aaron am Montag Nachmittag sozusagen gefeiert, und Du warst bestimmt dabei. Die ganze Zeit habe ich an Dich gedacht. Berthold, Ernst, Gerd W. und Mann[?] haben mir eine Phototasche geschenkt. Ich konnte aber leider keinen einladen. Wenn Du herkommst, kommst Du bestimmt zu uns. Nicht wahr? Ich habe Sigmund natürlich nichts von dem Lernen gesagt, aber Behrisch sagt, dass man es nicht braucht, besonders wenn es sich um Sigmund handelt, der ja sowieso nicht lernen will. Für Dich ist es natürlich sehr gut. Stimmt’s? Also lieber Heini, sei herzlich gegrüßt und geküsst von Deinem Freund Alex.

Schicke bitte die Karte zurück, wenn Du mal einen Brief schreibst.

Der Absender der Postkarte, Alexander Teitelbaum, geboren am 30. Oktober 1918 im polnischen Suwałki, emigrierte bereits 1935 im Alter von 17 Jahren unbegleitet nach New York, wo er sich später Alexander Turney nannte. Er verstarb dort 93-jährig im Jahr 2011. Sein Nachlass wird im Center for Jewish History aufbewahrt. Online kann man ihn hier aus seinem Leben berichten hören; dort erfährt man, dass sich Alexanders Eltern früh trennten und seine Mutter allein nicht für ihn sorgen konnte. Sie brachte ihn daher im Waisenhaus unter, das auch Kinder alleinerziehender Mütter aufnahm.

Heinz Grunwald, später Chaim Geron, wurde am 18. November 1918 in Berlin geboren. Seine unverheirateten Eltern gaben ihn nach seiner Geburt an Pflegeeltern, von denen ihn sein Vater Karl Grunwald im Alter von sechs Jahren zurückholte, um ihn anschließend im Auerbach’schen Waisenhaus unterzubringen, wo er seinen Freund Alexander Teitelbaum kennenlernte. Eine Tante von Heinz Grunwald, die Berliner Pädagogin Clara Grunwald, Gründungsvorsitzende der Deutschen Montessori-Gesellschaft, war mit Martin Gerson befreundet, einem der wichtigsten Organisatoren und Ausbilder der Hachschara in Deutschland. Gerson selbst war Schüler und später auch Lehrer an der Gartenbauschule in Ahlem. Auf dessen Empfehlung entschied sich Heinz für die dortige dreijährige Ausbildung (1933-1936). Durch Mitschüler kommt er in Kontakt mit zionistischen Jugendorganisationen, tritt den Werkleuten bei und entscheidet sich für die Auswanderung nach Palästina, um dort ein Kibbuz aufzubauen. Nach Abschluss seiner Ausbildung im März 1936 bis zu seiner Emigration 1939 arbeitete Heinz Grunwald als Landwirtschaftslehrer in den jüdischen Hachschara-Betrieben Gut Winkel bei Spreenhagen sowie Ahrensfelde. 1939 emigrierte Heinz Grunwald mit seiner Frau illegal nach Palästina, wo er 2003 im Alter von 85 Jahren verstarb. Seine Kindheit und Jugend wird im Buch „Der Sohn, der seine Mutter nicht kannte“ eindringlich nacherzählt. 

2 Gedanken zu „Post aus einem jüdischen Waisenhaus an die Gartenbauschule Ahlem

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