Vor mir liegt ein unscheinbares Stück Papier. Eine Postkarte, geschrieben am 21. September 1941 in Piaski, einer Kleinstadt im damals besetzten Polen, adressiert an die Bewohnerin eines Hamburger Altersheims. Für Philatelisten ist die Karte völlig uninteressant – keine seltene Frankatur, keine ungewöhnlichen Stempel. Der Sammlerwert der Postkarte (Katalognummer „Generalgouvernement P10“) beträgt zehn Euro, ein Briefmarkenhändler kann dafür allenfalls die Hälfte verlangen. Doch wer den schwer lesbaren Text entziffert und den historischen Kontext berücksichtigt, entdeckt ein zeitgeschichtlich bewegendes Zeugnis.
Im Juli 2010 verlegte der Künstler Gunter Demnig zwei von mir gestiftete Stolpersteine, die an die Berliner Jüdin Else Ellendmann und ihren Sohn Peter erinnern. Beide wohnten bis 1942 im Grünen Weg 15 in Berlin-Wannsee, keine 500 Meter entfernt von dem Haus, in dem ich heute lebe. Ich hatte bis dahin keinerlei persönlichen Bezug zur Familie Ellendmann, es war allein die geographische Nähe zum eigenen Lebensort, die mich veranlasste, die beiden Stolpersteine zu beauftragen. Im Internet hatte ich herausgefunden, dass die damals 27jährige Mutter und ihr vierjähriger Sohn am 28. März 1942 zusammen mit 983 anderen Berliner Juden und Jüdinnen ins Ghetto Piaski deportiert wurden. Der sogenannte „11. Berliner Judentransport“ erreichte sein Ziel am 30. März 1942. Das sind die letzten gesicherten Daten aus dem Leben von Else und Peter Ellendmann. Was danach mit ihr und ihrem Sohn passierte, ob sie den Eisenbahntransport überhaupt überlebten, ist unbekannt. Offiziell gelten beide heute – ohne Angabe eines genauen Todesdatums – als in Piaski ermordet. Weiterlesen →