Internierung im Camp des Milles: Post von und an Lagerinsassen

Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 und dem Kriegseintritt Frankreichs nur zwei Tage später erklärte die Administration der französischen Republik die im Land befindlichen Deutschen und Österreicher zu feindlichen Subjekten und forderte sie auf, sich zur Internierung in verschiedene Lager einzufinden. Dadurch sollten gegnerische Spionage und Sabotage verhindert werden. Keine Rolle spielte dabei, ob die Betroffenen bekannte Nazi-Gegner oder auch Jüd:innen waren, die nach 1933 aus Deutschland geflohen waren. So wurde auch eine alte Ziegelei im Stadtteil Les Milles der südfranzösischen Kleinstadt Aix-en-Provence zum Internierungslager erklärt. Die Anlage war auf die Aufnahme von Tausenden Internierter in keiner Hinsicht vorbereitet, die hygienischen und sanitären Zustände im Lager waren katastrophal.

Da sich viele emigrierte Schriftsteller:innen und Künstler:innen in Südfrankreich niedergelassen hatten und sich zur Internierung im Camp des Milles einfinden mussten, bekam die Ziegelei den Ruf eines Lagers der Künstler. Im Camp des Milles hielten sich unter anderem die Maler Max Ernst, Hans Bellmer und Anton Räderscheidt sowie die Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Walter Hasenclever, Franz Hessel und Alfred Kantorowicz auf.

Nach seiner erfolgreichen Flucht in die USA publizierte Feuchtwanger 1942 seine Erinnerungen an Les Milles unter dem Titel Unholdes Frankreich.

Die erste Phase des Camp des Milles endet mit der Niederlage der französischen Republik im Juni 1940. Die neue Regierung des unbesetzten Teils Frankreichs in Vichy übernimmt das Lager Les Milles, das jetzt offiziell Transit- und Internierungslager für unerwünschte Ausländer ist. Deutschen und österreichischen Internierten droht dabei die Auslieferung an die Gestapo, der die Vichy-Regierung im Friedensvertrag mit dem nationalsozialistischen Deutschland zugestimmt hat. Diese zweite Phase endet im Juli 1942.

Die Monate August und September 1942 bilden die letzte, die dritte Phase des Lagers, in der über 2.000 Juden und Jüdinnen von Les Milles aus über das Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert wurden. Insgesamt wurden zwischen 1939 und 1942 über 10.000 Menschen aus 38 Nationen in Les Milles interniert.

Belege zum Camp des Milles aus meiner Sammlung

Postalische Dokumente aus Les Milles sind durchaus selten. In meiner Sammlung finden sich aktuell vier Briefe (einer davon mit Inhalt) und eine Postkarte mit Bezug zum Lager in Les Milles. Alle Dokumente sind aus der zweiten Phase des Lagers, also aus der Zeit der Vichy-Regierung.

1. Postkarte vom 2. April 1941 aus Marseille an Leo Toch im Camp des Milles

Postkarte mit Stempel „Marseille Gare, 2.4.41“ von Lewitz, Marseille, Touring Hotel an Leo Toch, Group allemande V, Camp d. les Milles. –

Die Datenbank von Yad Vashem hat drei Einträge für Leo Toch, die sich – trotz abweichender Daten – erkennbar auf dieselbe Person beziehen. Demnach wurde Leo Toch im Jahr 1887 oder 1888 im südmährischen Nikolsburg geboren und lebte als Goldschmied in Wien. Er emigrierte nach Antwerpen, von wo er vermutlich nach der deutschen Besatzung im Mai 1940 nach Südfrankreich abgeschoben wurde. Am 16. September 1942 wurde Leo Toch mit dem Transport 33 von Drancy nach Auschwitz deportiert. – Über den Absender Lewitz konnte ich bislang nichts etwas in Erfahrung bringen, es handelt sich vermutlich um einen ebenfalls emigrierten Geschäftspartner, da im Text über den Verkauf eines Eherings geschrieben wird.

2. Brief vom 22. November 1941 aus Les Milles nach New York City

Briefumschlag mit Stempel „Les Milles Bouches Du Rhone, 22.11.41“ von J. Jakobsohn, groupe a.2. Camp des Milles, BdRh, France an Madame Bertel Adler, 214 West 92 Street, New York City USA. – Rückseitig Durchgangsstempel von Marseille Gare Avion vom 23.11.1941. – Der Brief wurde bei Ankunft von der amerikanischen Zensurbehörde geöffnet.

Sowohl über J.Jakobsohn wie auch über Bertel Adler konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Weder im Gedenkbuch des Bundesarchivs noch in der Datenbank von Yad Vashem findet sich ein Eintrag mit stimmigen Angaben. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass der Absender Internierung und Krieg überlebt hat.

3. Brief vom 8. Dezember 1941 aus Les Milles nach New York City

Briefumschlag mit Stempel „Marseille Bouches Du Rhone, 8.12.41“ von Jakob Klapholz, groupe divers Camp des Milles (Bouche du Rhone) France an Monsieur H. Liebermann, c/o Farkas, 103 East 16th Street, New York City USA (handschriftlich korrigiert in 349 E 14, vermutlich von der amerikanischen Post).

Die Identität von Jakob Klapholz konnte ich bislang nicht klären. Die Träger dieses Namens sind nach den mir zugänglichen Datenbanken nicht nach Frankreich emigriert.

4. Brief vom 19. [?] 1941 aus Les Milles nach Chicago

Briefumschlag mit Stempel „Marseille Gare Depart, 8.12.41“ von A. Geggel, Camp Les Milles B. du Rh. France an Mr. Manfred P. Hirst, 1709 E 68 Street, Chicago/Ill. U.S.A.

Beim Absender könnte es sich um Heinz Geggel (1921-2000) handeln, der vom 25. Februar bis zum 13. August 1941 mit der Lagernummer 600 in Les Milles interniert war. Er konnte im Dezember 1941 über Casablanca nach Kuba emigrieren (möglicherweise hat er den Brief selbst in Marseille aufgegeben). Er kehrte 1947 nach Deutschland zurück, von 1971 bis 1989 war er Mitglied des ZK der SED und leitete dort die Abteilung Agitation.

5. Brief vom 9. April 1942 aus Cheltenham, Glos. nach Les Milles

Brief mit Stempel „Cheltenham, Glos., 9. April 1942 “ ohne Absender an Monsieur Charles Nassau, Camp „Les Milles“, Bouches du Rhone, S. France. Der Brief wurde von der britischen Zensurbehörde geöffnet. Rückseitig Durchgangsstempel aus Madrid vom 13. April 1942. Adresse vermutlich im Lager „Les Milles“ handschriftlich korrigiert in 707e C.T.E., Aubagne BdRh. – C.T.E. waren Arbeitskommandos, die aus ausländischen Internierten zusammengestellt wurden.

Charles Nassau ist tatsächlich der Österreicher Karl Nassau, geboren am 18. März 1918 in Wien. Sein Schicksal in der Emigration ist in der Literatur dokumentiert. Nassau wurde bereits im Mai 1940 in Les Milles interniert, wo er Lion Feuchtwanger kennenlernte, dem er sich als Diener anschloss. Am 13. August 1942 wurde er von Les Milles nach Drancy deportiert, am 17. August 1942 von Drancy aus nach Auschwitz. – Den Brief an Karl Nassau und die Umstände von Nassaus Internierung werde ich später in einem eigenen Beitrag ausführlicher beschreiben.

Eine umfassende Monographie zum Lager Les Milles hat Doris Oschernitzki geschrieben: Letzte Hoffnung - Ausreise. Die Ziegelei von Les Milles Aix-en-Provence 1939-1942. Hentrich & Hentrich, Berlin 1999. Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.

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